Der 19. Februar 2019 ist für Vanessa Münstermann ein ganz besonderer Tag. An diesem Tag erschien ihr Buch Ich will mich nicht verstecken. Herausgegeben vom Rowohlt Verlag als Taschenbuch. Vor ein paar Tagen feierte Vanessa ihren 30. Geburtstag.
Lesung von Vanessa Münstermann bei Leuenhagen und Paris |
Ich will mich nicht verstecken! Und genau so erscheint sie zwei Tage später, am 21. Februar 2019 in Hannovers Buchhandlung Leuenhagen und Paris. Sie wirkt selbstbewusst und gefestigt.
Ebenfalls anwesend sind Kamerateams von SAT1 und RTL. Vanessa gibt vor der Lesung noch Interviews. Die Beiträge dazu werden am Freitag, dem 22. Februar 2019 bei SAT1 Regional um 17:30 Uhr und bei RTL Nord um 18:00 Uhr ausgestrahlt.
Vanessa Münstermann, 21.02.2019, Leuenhagen und Paris |
Auch wenn sie bei der anschließenden Lesung erwähnt, dass sie aufgeregt ist, merkt man es ihr nicht an. Vanessa erzählt von ihrem Leben nach dem Attentat - wie sie den Säureanschlag auf sich selbst bezeichnet.
Was war passiert?
Am 15. Februar 2016 wird sie von ihrem Ex-Freund Daniel attackiert. Er schüttet ihr Säure ins Gesicht. Mit schwersten Verletzungen kommt Vanessa ins Krankenhaus und wird in ein künstliches Koma gelegt.
Dieses Koma dauert 12 Tage. 12 Tage, in denen Vanessa nicht weiß, ob sie wach ist oder schläft. 12 Tage, in denen ihre Familie wiederum für sie da ist und nicht weiß, ob Vanessa jemals wieder aufwacht.
Vanessa hatte sich kurz zuvor von ihrem Freund Daniel getrennt. Sie legt großen Wert auf ihr Äußeres, hat eine Ausbildung zur Kosmetikerin gemacht. Nun lag sie im Koma. Ihre Schwester Melanie war jeden Tag bei ihr, hat mit Vanessa gesprochen und, wenn sie nicht bei Vanessa war, hat sie geweint. Geweint und gehofft, dass Vanessa wieder aufwacht und zurück ins Leben findet. Gehofft, dass Vanessa wie früher lacht und Selfies macht.
Ein Jahr nach dem Attentat will Vanessa ein Buch schreiben. Ein Buch darüber, wie sie zurück ins Leben gelangt. Ein Buch über ihr Leben nach dem Angriff. Ein Buch, dass anderen Gezeichneten zeigen soll, dass man sich nicht verstecken braucht. Ein Buch, das zeigt, dass Vanessa sich nicht verstecken will. - Zur Antwort bekommt sie ein "das ginge nicht" und doch liegen nun seit ein paar Stunden die Taschenbücher in den Regalen der Buchhändler.
Ihr Ex-Freund Daniel kommt nach der Attacke ins Gefängnis. 17 Jahre Haft. Der Richter weiß, dass Daniel kriminell bleiben wird. Und dennoch bekommt Daniel nur 17 Jahre Haft. Für Vanessa hingegen bedeutet es lebenslänglich.
Lebenslänglich. Vanessa ist das Opfer. Und trotzdem unser Land so modern, so aufgeklärt ist, gibt es keine ebenbürtige Strafe für den Täter. Das Opfer bekommt lebenslänglich. Der Täter 17 Jahre Haft. 17 Jahre in einem ordentlichen, sauberen mit Fernseher ausgestatteten Zimmer. Für Vanessa der blanke Hohn. Sie hat sich das Zimmer angesehen, in dem Daniel vorübergehend für die nächsten 17 Jahre untergebracht ist. Sie hat gehofft, dass es ihm nicht dermaßen gut geht, wo sie doch so sehr leiden muss.
Doch auch aus der Haft heraus stellt Daniel eine Bedrohung dar:
"Sehr geehrte Frau Münstermann, soeben erreichte mich die Nachricht aus dem Gericht, dass vertrauliche Informationen aus der JVA vorliegen, wonach F. den Auftrag erteilt haben soll, Sie zu töten. Für ein Honorar in Höhe von 20.000,00 EURO." -Seite 224
Vanessa hat um Schutz gebeten. Nicht für sich, sondern für ihre Familie. Ihr Leben war nach der Attacke nicht schützenswert genug, um dafür um Schutz zu bitten. Ihr Gesicht nach dem Anschlag zweigeteilt. Die bekannte und hübsche rechte Seite und neu die von Narben übersäte linke Seite.
Vanessa erlebt, wie sie ihr linkes Ohr verliert. Es gammelt, es riecht unangenehm - es stinkt, wie sie selbst erzählt. Dann muss sie ihr linkes Auge hergeben. Die Schmerzen waren unerträglich, die Ärzte konnten es nicht retten. Nun trägt Vanessa ein Glasauge. Sie variiert dabei. Zur Lesung trägt sie die verspiegelte Variante. Ihre Schwester Melanie mag es, wenn sie die schwarze Variante trägt. Pflege braucht das Auge trotzdem immer. - Auch wenn es nicht mehr vorhanden ist, benötigt es Feuchtigkeit.
Während der Koma-Zeit fühlt Vanessa sich wie in einer Science-Fiction Zeit. Sie fühlt, wie sie gewickelt wird, wie die Schläuche gereinigt oder getauscht werden.
Vanessa hat aufgrund dieser Erlebnisse während ihrer Zeit im Koma von einer Künstlerin zwei Bilder anfertigen lassen.
Darauf sehen wir das Büro ihres Vaters. Er war als Versicherungsvertreter tätig. Wir sehen ihre Schwester Melanie mit ihrem kleinen Sohn, obwohl dieser zu dem Zeitpunkt schon viel älter war.
Vanessa hat gekellnert. Auch das findet sich in dem Bild wieder.
Die Erinnerungen schwemmen hoch in dieser Aufwachphase.
Die Bilder hat Vanessa für ihre Eltern anfertigen lassen und heute wurden sie zum ersten Mal gezeigt. Auch ihre Eltern haben die Bilder vorher noch nie gesehen.
Mit den Bildern will Vanessa ihren Eltern zeigen, dass sie auch in diesen 12 Tagen des Komas da war.
Vanessa hat Tagebuch geführt und ihre Gefühle und Gedanken darin festgehalten. Aus diesen Aufzeichnungen ist schließlich das Buch entstanden.
Vanessa hat viel geweint in dieser Zeit. Viele der Buchstaben in ihrem Tagebuch sind verwischt, wirken verwaschen von all ihren Tränen. Vanessa wirkt so stark und ist dennoch so verletzlich. Im Inneren fühlt sie sich ihrem zweigeteilten Gesicht manches Mal sehr nahe.
Vanessa erzählt von Two-Face aus Batman. Sie hat nach dem Anschlag auch zwei Gesichter. Der Bezug zu Two-Face hilft Vanessa, ihr Schicksal, ihr neues Gesicht, nicht nur zu akzeptieren, sondern es zu lieben. Als ein Teil von ihr. Ein zweigeteiltes Gesicht, das zu ihr gehört, das ihres ist.
Doch verzichtet Vanessa darauf, dieses auch durch zweifarbige Kleidung zu unterstreichen.
Vanessa Münstermann signiert |
Vor zwei Jahren gründete Vanessa den Verein AusGezeichnet e.V. Den Namen dazu hat ihre Schwester Melanie ausgeklügelt und auch Vanessa fand den Namen ausgezeichnet und passend.
Die Idee kam den beiden Schwestern, weil viele Menschen viel Geld gespendet hatten, um Vanessa Münstermann weitere Operationen zu ermöglichen. Operationen, die Vanessa selbst hätte zahlen müssen, da sie nicht als medizinisch notwendig gelten. Doch Vanessa möchte sich nicht weiteren Operationen unterziehen. Sie will sich nicht verstecken. Sie will der Welt zeigen, dass sie auch immer noch ein Mensch ist - auch mit diesen Narben.
mit Vanessas Schwester Melanie |
Auch heute noch muss Vanessa eine Maske für ihr Gesicht tragen, damit ihre Narben nicht zu Wülsten auswachsen. Und dennoch hat sie ihre eigene Maske einer Frau geschickt, damit auch diese Linderung nach einer Falschbehandlung erfährt.
Heute ist Vanessa wieder mit ihrer Jugendliebe zusammen. Sie wollen heiraten, haben bereits eine gemeinsame Tochter, die im letzten Jahr, am 24. Mai 2018, geboren wurde.
Bereits während ihrer Schwangerschaft überkamen Vanessa neue Ängste: wird ihre Tochter sie so akzeptieren, wie sie ist, wie sie aussieht? Wird sie später wegen des Aussehens ihrer Mutter in der Schule gemobbt? Diese Angst kann Vanessa niemand nehmen.
"Eine kranke Person mit Geld - ist das Schlimmste was es gibt auf der Welt." sagt Vanessa. Momentan hofft Vanessa noch, dass die Eltern von Daniel ihn enterben werden. Doch, wie sich seine Eltern verhalten haben, besteht darauf wenig Hoffnung. Und damit bleibt die Angst als ständiger Begleiter.
Das Buch und alles, was Vanessa tut, ist eine Art Trotzreaktion. Eine Trotzreaktion darauf, dass sie Daniel beweisen will, dass sie sich trotzdem nicht unterkriegen lässt, sich von ihm nicht bedrohen und unterdrücken lässt.
Noch aus der Haft heraus drohte Daniel ihr und verlangte, dass sie sich aus der Öffentlichkeit zurückziehen soll.
Auf meine Frage, was sie trotz der Drohung und ihrer Angst bewog, weiterzumachen, antwortete sie:
"Wenn er noch so weiter macht, dreh ich ´nen Film!"
Vanessa Münstermann und Cornelia Fett am 21.02.2019 bei Leuenhagen und Paris |
Und ich sage: "Den würde ich gucken!"
Heute gucke ich aber erst einmal die Interviews auf SAT1 und RTL.
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