Dienstag, 5. September 2023

Deutscher Buchpreis 2023 - Bekanntgabe der Nominierten für die Longlist

 

Es ist wieder soweit! Die 20 Nominierten für die Longlist des Deutschen Buchpreises stehen fest. Und wieder bin ich bei Ansicht der Titel beeindruckt, wie sie - bis auf eine Ausnahme - allesamt bisher an mir vorbeigehen konnten. 




Und trotzdem - oder gerade deswegen - feiere ich den Moment, all diese Titel in dieser Auswahl vorgestellt zu bekommen - über die Nominiertenliste für den Deutschen Buchpreis 2023.

Habt Ihr den einen oder anderen Titel bereits gelesen? Und welches der Bücher gehört Eurer Meinung nach auf die Shortlist? Am liebsten würde ich sie wieder alle lesen, um mir meine eigene Meinung zu den Büchern bilden zu können. - Doch die Zeit, die Zeit. 




Hier sind für Euch die 20 Nominierten in alphabetischer Reihenfolge:


Birobidschan - Tomer Dotan-Dreyfus - Februar 2023 - Verlag Voland & Quist

Die Inkommensurablen - Raphaela Edelbauer - Januar 2023 - Klett-Cotta

Der große Wunsch - Sherko Fatah - August 2023 - Luchterhand Literaturverlag

Paradise Garden - Elena Fischer - August 2023 - Diogenes Verlag

Gittersee - Charlotte Gneuß - August 2023 - S. Fischer Verlag

Weil da war etwas im Wasser - Luca Kieser - August 2023 - Picus Verlag

Risse - Angelika Klüssendorf - August 2023 - Piper Verlag

Ein Hund kam in die Küche - Sepp Mall - August 2023 - Leykam Verlag

Muna oder Die Hälfte des Lebens - Terézia Mora - August 2023 - Luchterhand Literaturverlag

Doppler - Thomas Oláh - Februar 2023 - Müry Salzmann Verlag

Unschärfen der Liebe - Angelika Overath - April 2023 - Luchterhand Literaturverlag

Vatermal - Necati Öziri - Juli 2023 - claassen

Kochen im falschen Jahrhundert - Teresa Präauer - Februar 2023 - Wallstein Verlag

Die Möglichkeit von Glück - Anne Rabe - März 2023 - Klett-Cotta

Laufendes Verfahren - Kathrin Röggla - Juli 2023 - S. Fischer Verlag

Echtzeitalter - Tonio Schachinger - März 2023 - Rowohlt Verlag

Maman - Sylvie Schenk - Februar 2023 - Carl Hanser Verlag

Monde vor der Landung - Clemens J. Setz - Februar 2023 - Suhrkamp Verlag

Südstern - Tim Staffel - September 2023 - Kanon Verlag Berlin

Drifter - Ulrike Sterblich - Juli 2023 - Rowohlt Verlag Hundert Augen


Jetzt mal unter uns: Manche Titel hören sich so literarisch-malerisch an, da möchte ich gleich an meinen Lieblingsleseort und mich für einen stillen Nachmittag in die Seiten vertiefen. Ich bin sehr gespannt, welche dieser Titel auf der Shortlist landen. Sechs wunderbare Titel aus diesen vorgestellten zwanzig. Darunter sind sieben Debüts!! In diesem Jahr haben 113 deutschsprachige Verlage 196 Romane vorgeschlagen, aus denen nun die zwanzig besten zur Wahl stehen. 

Am 19. September 2023 wissen wir mehr. Dann werden sechs Titel auf der Shortlist stehen. Knapp einen Monat später, am 16. Oktober 2023, wird dann zum Auftakt der Frankfurter Buchmesse die Gewinnerin oder der Gewinner verkündet. Charmant finde ich, dass alle sechs Autorinnen und Autoren der Shortlist einen Preis erhalten. Der Deutsche Buchpreis ist mit 37.500,00 EURO dotiert. 25.000,00 EURO erhält die bzw. der Erstplatzierte und die weiteren fünf Autorinnen und Autoren erhalten je 2.500,00 EURO. 

Verratet doch mal in den Kommentaren, wen Ihr auf der Shortlist seht. Ich bin sehr gespannt. 

Euch alles Liebe

Eure Connie





Freitag, 1. September 2023

Avorrit - Das Spiel der Schlüssel - Katrina Lähn

 

Avorrit - Das Spiel der Schlüssel
Dilogie - Band 1
Fantasyroman
Autorin: Katrina Lähn
356 Seiten
ASIN B0CC2VKC89
erschienen am 1. September 2023





Avorrit - Das Spiel der Schlüssel ist der erste Band der Dilogie einer Fantasy-Abenteuergeschichte. 

Die Königsfamilie hat vor knapp 100 Jahren nicht nur die Gunst ihrer Mitmenschen sondern auch die Gunst einer Priesterin strapaziert. Die Gunst wurde so stark strapaziert, dass die Priesterin einen Fluch gegen die Königsfamilie aussprach und ihnen 100 Jahre Zeit gab 100 Schlüssel zu finden - und deren Aufgaben zu bewältigen. 




98 Jahre nach diesem Dilemma, ist die Königsfamilie von der Lösung noch genauso weit entfernt, wie zu Beginn. Zur Zeit des Schlüsselfestes schließt Jo für ihre beste Freundin Marley einen Pakt und muss nun in diesem Jahr die Schlüsselaufgaben lösen. Die beiden noch minderjährigen Ausreißerinnen sehen anfangs noch nicht die Tragweite ihres neu begonnenen Abenteuers und schlittern sozusagen sehenden Auges in eine gefährliche Situation nach der anderen. 

Da hilft auch alles Fluchen auf die Königsfamilie - die sogenannten Aschehäupter - nichts. Marley und Jo müssen sich schnell entscheiden, wen sie als Feind und wen als Freund ansehen wollen.

Avorrit - Das Spiel der Schlüssel ist sehr spannend erzählt. An der Seite von Jo und Marley gerate ich regelrecht in einen Strudel, der sich - einmal begonnen - nicht mehr aufhalten lässt. Jo und Marley müssen weiter reisen - und ich muss sie unbedingt weiter dabei begleiten. 

Doch nicht nur Jo, mit ihrer herben, polterigen Art und Marley, mit ihrer sanften, reflektierenden Besonnenheit haben es mir angetan, sondern auch die weiteren Charaktere. Sie könnten unterschiedlicher nicht sein. Die Entwicklung der einzelnen Figuren im Laufe der Geschichte ist sichtlich und spürbar. Das macht das Lesen für mich zu einem ganz besonderen Lesegenuss. 

Hach, wäre das schön, ich könnte Euch schon jetzt mehr über die einzelnen Charaktere erzählen. Ich bin so angefüllt mit ihren Erlebnissen, ihren Eindrücken, ihren Empfindungen und ihren Zielen. Und ich bin mir sicher, dass die magische Seite in der zweiten Hälfte der Dilogie noch einiges zu bieten hat. 

Katrina Lähn hält die Fäden der Figuren in ihren verantwortungsbewussten Händen und ich bin sicher, sie findet für jeden ihrer Charaktere die richtige Bestimmung. Ich bin jedenfalls sehr gespannt, wie es weiter geht und kann die Veröffentlichung des zweiten Bandes kaum erwarten. 

Jo, mit ihrer herben, polterigen Art und Marley, mit ihrer sanften, reflektierenden Besonnenheit zu begleiten, ist gleichsam Abenteuer und Genuss. 


Fazit

Avorrit - Das Spiel der Schlüssel ist für jeden, der Reisen ins Unbekannte und komplexe Charaktere liebt. Ein Fantasyabenteuerroman und absoluter Lesegenuss von der ersten bis zur letzten Seite. 

Meine Leseempfehlung: ab 14 Jahren


Donnerstag, 31. August 2023

Apfelmädchen - Tina N. Martin

 

Apfelmädchen
Thriller
Blanvalet
Autorin: Tina N. Martin
aus dem Schwedischen übersetzt von Leena Flegler
512 Seiten
ISBN 978-3-7341-1165-5
erschienen am 21. Juni 2023






Apfelmädchen ist das Thriller-Debüt der Autorin Tina N. Martin. Die Geschichte spielt in Schweden in der Gegend um die Stadt Boden, in der Tina N. Martin selbst lebt. 






Die Geschichte kommt für mich scheinbar langsam ins Rollen. Auf den ersten rund 80-100 Seiten gewöhne ich mich an den Erzählstil und die Charaktere. Im Laufe der Erzählung werden es immer mehr Figuren. Diese haben gute Unterscheidungsmerkmale, doch trotzdem muss ich - sobald wiederholt die Rede von einem dieser Charaktere ist - mich bemühen, mich daran zu erinnern, um wen es jetzt gerade geht. 

Die Mühe lohnt sich. 100 gelesene Seiten später mag ich das Buch schon gar nicht mehr aus der Hand legen. 

Apfelmädchen wird in zwei Ebenen erzählt. Die eine Ebene spielt ab dem Jahr 1975, die andere aktuell im August. 

Aktuell sind Kriminalkommissarin Idun Lind und ihr Partner Calle Brandt dabei, einen Mordfall aufzuklären. Die beiden sind ein eingespieltes Team und können sich scheinbar blind aufeinander verlassen. Der Mordfall wirft viele Fragen auf: niemand hatte offenkundig ein Mordmotiv gegen das Opfer. Und doch wurde der Leichnam der jungen Frau sogar eigens in Szene gesetzt.


Triggerhinweis

Bei diesem Buch komme ich leider nicht umhin, einen Hinweis zu geben. Wer sich überraschen lassen will, liest hier nicht weiter, sondern erst wieder ab der nächsten Überschrift Meine Meinung

Apfelmädchen spricht über häusliche Gewalt, über erwachsene Menschen in Wirkungsfeldern, denen sie nicht gerecht werden und hat einen religiösen bzw. einen Bezug zu Sekten.

Ich kann alle verstehen, die aufgrund der Thematik hier aussteigen. 


Meine Meinung

Apfelmädchen ist ein klug erzählter Thriller. Die Geschichte nimmt einen überraschenden Verlauf und wartet mit einem - zumindest anfangs - überraschenden Ende auf. Der Erzählstil wirkt auf mich noch etwas ungelenk, die Geschichte ist aber gleichwohl spannend. 

Es gibt viele Charaktere, die aufeinandertreffen, und diese grenzen sich alle sehr gut voneinander ab. Jeder hat seine Eigenart, seinen eigenen Stil. Das gefällt mir und hat einen hohen Wiedererkennungswert. Bei den Namen musste ich allerdings etwas länger überlegen, wenn die Charaktere wieder in Erscheinung treten. Das hat den Lesefluss etwas gehemmt. 

Dafür war die Spannung da. Tina N. Martin motiviert mich mit ihrer Art die Geschichte zu erzählen die Beweggründe und die handelnden Akteure zu begreifen. Die Emotionen der Charaktere blieben ein wenig auf der Strecke, dafür nimmt Tina N. Martin kein Blatt vor den Mund, wenn es um die Greueltaten geht. Das ist auch der Grund, weshalb ich einen Triggerhinweis in meiner Rezension platziert habe. Dazu kommt eine etwas raue Art, die Geschichte zu erzählen. An zwei, drei Stellen musste ich erst noch einmal zurückgehen, um noch einmal nachzulesen, ob die Figuren auch genau dort sind, wo sie sein sollen: unterwegs im Auto oder noch am Schreibtisch sitzend. Wer sich mit solchen Details nicht aufhält, ist jedoch richtig im Schwung der Geschichte. 

Ich bin mir nicht sicher, ob es an der Art der Erzählung von Tina N. Martin liegt oder ob vielleicht aufgrund der Übersetzung von Leena Flegler abrundende Details fehlen. Bei Übersetzungen aus dem Schwedischen stelle ich häufig fest, dass ein Lektorat der Geschichte oftmals gut tun würde. In dieser Übersetzung von Leena Flegler scheint mir aber alles stimmig übersetzt zu sein.


"Sie waren als Eltern komplette Versager. All das, was Papa uns zugemutet hat - die Schläge, die Drohungen, der Hohn. Das verzeihe ich ihm nie, und ich verzeihe Mama nicht, dass sie zu alldem den Mund gehalten hat." - Seite 53


Apfelmädchen gewährt mir als Leserin einen Blick in die Abgründe der menschlichen Psyche. Ich empfehle starke Nerven beim Lesen. 


"Es sind zärtliche Worte, doch seine Stimme ist hart. Mit einem Mal ist ihre Kehle ganz trocken und fühlt sich an wie zugeschnürt. Schon bemerkenswert, wie zwei kurze Sätze ein Gefühl erzeugen, als würde ihr jemand den Hals zudrücken." - Seite 86


Die Geschichte wird erzählt, wie ein rauer Wind, der einen durchrüttelt und nicht mehr loslässt. Ich freue mich schon jetzt auf den zweiten Band und ein Wiedersehen mit Idun Lind und Calle Brandt mit Gewittermann

Wer Apfelmädchen liest, entscheidet sich für einen Blick in die Abgründe der menschlichen Psyche.


Fazit

Apfelmädchen ist für alle, die tief in die Abgründe der menschlichen Psyche blicken wollen und eine zeitweilig raue Erzählart abkönnen.


Samstag, 12. August 2023

Das Licht im Rücken - Sandra Lüpkes

 

Das Licht im Rücken
Roman
Kindler Verlag / Rowohlt Verlag
Autorin: Sandra Lüpkes
496 Seiten
ISBN 978-3-463-00025-1
erschienen am 16. Mai 2023
Hörbuch
Argon Verlag
Sprecherin: Claudia Michelsen
Laufzeit 12 Stunden 4 Minuten
ISBN 978-3-8398-2028-5
erschienen am 24. Mai 2023




Das Licht im Rücken erzählt die Geschichte der Leica und zweier Familien, deren Geschichte fest mit der ersten Kleinbildkamera verbunden sind. Sandra Lüpkes erzählt zum Einen die Geschichte der Familie Leitz, deren Sohn des Werkgründers die Fertigstellung der Leica befürwortet und vorantreibt und zum anderen die Geschichte einer fiktiven jüdischen Familie, die mit ihrem Ladengeschäft Haus der Präsente und vor allem mit den beiden heranwachsenden Kindern Dana und Milan zwei ebenso starke Persönlichkeiten in die Geschichte der Leica einbindet. 



Das Licht im Rücken spielt in den Jahren 1914 bis 1945. Als Leserin erlebe ich zunächst, wie der Tüftler und Entwickler Oskar Barnack den ersten Prototyp der Leica baut, testet und es zu dem ersten Foto auf dem Eisenmarkt in Wetzlar kommt. Das ist für mich an sich schon ein sehr aufregender Moment. Ich habe zwar nie eine Leica besessen, aber ich liebe aussagekräftige Fotografien. Und genau diese kommen in der Geschichte der Leica im Zeitraum 1914 bis 1945 auf unterschiedlichste Art und Weise zum Tragen. Erst die Leica Liliput, dann - im Krieg - die Leica Propaganda

Es ist für mich faszinierend und unglaublich zugleich, wie raffiniert diese neue und teure Technik in Kriegszeiten eingesetzt wird. Soldaten erhalten eine Kleinbildkamera um gut inszenierte Fotografien "nach Hause" zu schicken. Natürlich müssen diese Fotografien das Bild der Deutschen Wehrmacht ins rechte Licht rücken. Schließlich werden diese Bilder für die Presse und als Werbung genutzt.

Sandra Lüpkes hat mehr als umfassend recherchiert und Charaktere - ob wahre oder fiktive - großartig in Szene gesetzt. Sie alle bleiben mir in Erinnerung, als hätte ich sie selbst erlebt. Als hätte ich an ihrer Seite gestanden. Als hätte ich Höhen und Tiefen mit ihnen durchlebt. Besonders ist mir aus der Familie Leitz Elsie an Herz gewachsen. Als Mädchen ist sie immer ein bisschen "außen vor" und deshalb oft ungestüm. Sie hat ihren eigenen Kopf und dank ihrer Sturheit auch den nötigen Biss, um sich durchzusetzen. Auch Milan und Dana sind mir ans Herz gewachsen. Beide mussten "sehen, wo sie bleiben". Jüdischstämmig, die Mutter abgehauen, der Vater traurig, das Geschäft läuft mal besser, mal schlechter aber ohne ihr Zutun überhaupt gar nicht. Und die eigenen Träume? Träume, die gelebt werden wollen? Starke eigene Interessen und ein starker eigener Willen stehen dem politischen Geschehen ringsherum entgegen. Echte Freunde und Verbündete finden sie glücklicherweise bei der Familie Leitz

Das Licht im Rücken hat mich so sehr gefesselt, dass ich die Geschichte am liebsten in einem Rutsch gehört hätte. So lebendig war das Geschehen erzählt, so tiefgründige Charaktere haben mich unterhalten und in die Geschichte der Leica eingeladen. Auch jetzt, Stunden nach dem Hörerlebnis, habe ich immer noch das Gefühl, mir den Staub von den Hosenbeinen klopfen zu müssen und zu kontrollieren, ob ich meine Leica noch unversehrt bei mir habe. Denn, dass ich eine Leica - zumindest zu Testzwecken - in der Hand halte, scheint mir unverhandelbar. Wahrscheinlich wäre ich genauso starrköpfig wie Elsie und hoffentlich so diskussionsstark. Nur für ihren ausgelebten Hang, sich in Szene zu setzen, wäre ich wahrscheinlich zu wohlerzogen angepasst. 

Ich habe die Geschichte um die Leica so, so gern erlebt und kann sie allen Geschichts- und Fotoliebenden ans Herz legen. 

Für die Hörbuchfassung hätte ich mir niemand anderen vorstellen können, als Claudia Michelsen. Claudia Michelsen spielt mit ihrer Sprachmelodie und der Lesegeschwindigkeit so gekonnnt, dass es jedes Wort, jede Bedeutung unterstreicht und in Szene setzt. Ich lieb´s.


Fazit

Das Licht im Rücken ist für alle, die fotobegeistert sind und die Entwicklung der Leica anhand einer spannenden Familiengeschichte erleben wollen.


Bonus

Wusstest du, dass Sandra Lüpkes die Idee zu dem Roman Das Licht im Rücken bereits bei den Recherchen zu Die Schule am Meer gekommen ist? Ich mag mir gar nicht ausmalen, wie sehr Sandra Lüpkes gleich zur Geschichte der Familie Leitz und zur Geschichte der Leica weiter recherchiert und geschrieben hätte. Mehr darüber erfährst du im Podcast von Michel Birnbacher und bei HR2

Dienstag, 8. August 2023

Solange wir leben - David Safier

 

Solange wir leben
Historischer Roman / Biografischer Roman
Kindler Verlag / Rowohlt
Autor: David Safier
464 Seiten
ISBN 978-3-463000305
Hörbuch
Argon Verlag
Sprecher:innen: David Safier, Reinhard Kuhnert, Vera Teltz
Laufzeit: 11 Stunden 9 Minuten
ISBN 978-3-7324-2019-3
beide erschienen am 18. April 2023




Solange wir leben ist sowohl ein historischer als auch biografischer Roman. Der Roman handelt von Joschi und Waltraut. Erzählt wird die Geschichte im Wechsel jeweils aus der Sicht der beiden. Eigentlich sollten sich die beiden nicht kennen- und schon gar nicht lieben lernen. Dafür sind sie viel zu unterschiedlich. Unterschiedlicher Herkunft, unterschiedlichen Alters. Und doch finden sie irgendwie zueinander und freuen sich jeweils aufeinander, wenn sie sich wiedersehen. 




Solange wir leben ist die Geschichte der Eltern des Autors David Safier. Und, so sagt er selbst, "er hätte die Geschichte seiner Eltern nie erzählt, würde ihre Geschichte nicht wie die großer Romanfiguren auf ihn wirken". Und, mal unter uns: ich kann das nur unterschreiben. Würde Solange wir leben verfilmt werden, ich hätte als eine der Ersten mein Ticket fürs Kino.

David Safier erzählt die Geschichte mit der zärtlichen Liebe eines Kindes zu seinen Eltern. Die Zeiten, in denen sie aufgewachsen sind, waren unruhig, voller Unsicherheit, Entbehrungen und Ängsten - und doch ist da für mich als Leserin immer dieser Glanz, dieser warme Schimmer an Hoffnung, dass am Ende alles gut wird. 

Nun, für den Autor jedenfalls wurde es gut: schließlich wurde er geboren und darf heute ganz ohne Kriegswirren Bücher schreiben. Doch für seine Eltern war die Zukunft ungewiss und oft wenig erfreulich.


"Es gibt kein leichtes Leben. Auf eines zu hoffen, enttäuscht nur." Gabi zog ihre Hand weg. "Glaub mir, je eher du das begreifst, desto besser: Leben heißt leiden." Waltraut nahm Gabis Hand wieder, hielt sie ganz fest und wiederholte, damit die Tochter auch begriff: "Leben heißt leiden." - Seite 213


Trotz der Schwere der Zeit und der oft düsteren Aussicht schafft David Safier die Szenerie durch seine Erzählweise und seinen Humor - den er vermutlich von Joschi geerbt hat - zu erhellen. Der Charme von Joschi und die scharfzüngige Waltraut machen den Wortwechsel lebendig und es ist, als wäre ich Zeuge ihrer teils privaten Gespräche und ihrem Schlagabtausch in der Öffentlichkeit. Die Warmherzigkeit, mit der David Safier die Geschichte erzählt, lässt mich immer wieder hoffen, dass beide Elternteile glücklich sein werden. 

Für mich war es ein ganz wunderbares Lese- und Hörerlebnis, die Zeit, beginnend vor bald neunzig Jahren in Deutschland und Palästina, aus der Sicht von Joschi kennenzulernen und später an der Seite von Waltraut die Kriegszeit, die Trümmerjahre und das Wirtschaftswunder in Deutschland zu erleben. Wenn ich an die beiden als Paar denke, fällt mir das Wort "mondän" ein. Joschi, der mit einer Geschmeidigkeit durch die Welt und die Wirtschaft reist und Waltraut, mit ihrer gepflegten Schönheit und Gewandtheit. Wie David Safier bereits sagte: seine Eltern sind wahrlich Romanfiguren. Für mich könnten es Leinwandhelden sein. 

Eingelesen wurde das Hörbuch von drei Sprecher:innen, von David Safier, Reinhard Kuhnert und Vera Teltz. Anfangs war ich etwas verunsichert, dass dieser Roman drei Sprecher:innen benötigt. Und während des Hörens bestätigte sich das für mich auch immer wieder. Der Wechsel der Erzählstimme hat mich eher aus dem Fluss der Geschichte aufmerken lassen. Und doch fand ich es gut, dass am Ende, am Ende David Safier selbst die Stimme zur Erzählung lieferte. 


Fazit

Solange wir leben ist für alle, die gern sowohl historische als auch biografische Romane der Kriegs- und Nachkriegszeit lesen und in das wahre Leben der Charaktere eintauchen wollen. 


Sonntag, 30. Juli 2023

Sterne über Siena - Claudia Winter

 

Sterne über Siena
Roman
Goldmann Verlag
Autorin: Claudia Winter
480 Seiten
ISBN 978-3-442-49346-3
erschienen am 21. Juni 2023






Sterne über Siena ist die Geschichte von Emilia, liebevoll Em genannt. So warmherzig, wie ihr Name klingt, wächst Emilia jedoch nicht auf. Als Heranwachsende verliert sie ihren Bruder Matteo. Die ganze Familie befindet sich seitdem im Ausnahmezustand. Und dieser Ausnahmezustand hält bis in Emilias Erwachsenenalter an. 




Emilia lernt in ihrer Kindheit vor allem, undurchdringlich nach außen Stärke zu zeigen: den Stolz als Sienesin, den Stolz als Mitglied der Contrade des Turms und den Stolz der Familie Volani. Einzig ihre jüngere Schwester Aurelia bleibt ihr als Verbündete. Egal, wie hart Emilia auch arbeitet, egal, wie sehr sie sich im Studium bemüht, das ihr in Wirklichkeit eine Last ist: ihren über alles geliebten Vater erreicht sie nicht. Luciano Volani wird einzig durch den alljährlichen Palio aus seiner Lethargie gerissen. - Der Lethargie geboren aus dem Hass auf die Familie Graziotti. Der Familie, die Luciano den Sohn nahm. 

Zu dumm, dass Aurelia sich ausgerechnet in den jüngsten Sprössling der Familie Graziotti verguckt hat und Emilia zwischen die Fronten beider Familien gerät. 

Claudia Winter erzählt die Geschichte der beiden Familien jeweils aus Sicht der älteren Kinder. Emilia Volani und Alessio Graziotti erlebe ich als Leserin mit all ihren Gedanken, Wünschen und Vorhaben und kann nur hoffen, dass sich alles irgendwie zum Guten wenden wird. Beide begleite ich durch eine aufregende Zeit mit versuchten Familienzusammenführungen, Vorbereitungen zum Palio - dem (!) Pferderennen in Siena, Freundschaften, die erneuert werden müssen und den üblichen Geschäften. Die Charaktere haben Tiefe. Ich würde mich nicht wundern, wenn ich in Siena wäre und mir sämtliche Figuren begegnen würden. Die zurückhaltende, freundliche Emilia, die vor Glück überschäumende Aurelia, die warmherzige Familie Graziotti - sie sind alle da. Und ihr Dasein fühlt sich für mich aus der Ferne schon so real, so wirklich an. 

Der lebendige Schreibstil lässt mich hautnah erleben, was den Charakteren in der Geschichte widerfährt. Mehr als einmal muss ich das Buch zur Seite legen, weil ich die Gefühle der Figuren so sehr nachempfinden kann. 

Um den Roman zu mögen und nah bei den Charakteren zu sein, muss man kein Pferdeliebhaber sein. Es geht zwar um den Palio, das Pferderennen in Siena. Der Palio ist aber eher ein Lebensgefühl. Der Herzschlag Sienas, der dafür sorgt, dass die Contraden im Wettbewerb bleiben. 17 Contraden gibt es in Siena. Jedes dieser Stadtviertel hat ein eigenes Wappen, das mit Stolz getragen wird. Was könnte also mehr zählen, als ein Sieg beim Palio

Sterne über Siena zu lesen, hat mir sehr viel Freude bereitet. Ich habe so unendlich viel gelernt über Siena, über Familienzusammenhalt und Schicksalsschläge. Mit den Charakteren konnte ich bangen, kämpfen und erleben, wie sie an ihren Herausforderungen wachsen. Wie sie lernen und lehren. Wie sie lieben und leiden. 


Fazit

Sterne über Siena ist für alle Pferdeliebhaber, Freiheitsliebende und für all jene, die Leidenschaft für ihre eigenen Vorhaben empfinden. 


Dienstag, 18. Juli 2023

22 Bahnen - Caroline Wahl

 

22 Bahnen
Roman
Dumont Verlag
Autorin: Caroline Wahl
208 Seiten
ISBN 978-3-8321-8278-6
Hörbuch
Dumont Verlag
gelesen von Carolin Haupt
5 Stunden 40 Minuten
ISBN 978-3-8321-6045-6
beide erschienen am 18. April 2023





22 Bahnen erzählt die Geschichte von Tilda. Tilda lebt mit ihrer jüngeren Schwester Ida und ihrer Mutter in einer Wohnung in der Fröhlichstraße. Nur, dass Tilda vom Fröhlichsein meilenweit entfernt scheint. Tilda studiert, liebt Mathematik, arbeitet an der Supermarktkasse, schwimmt zum Ausgleich gern 22 Bahnen und kümmert sich um ihre jüngere Schwester Ida und den Haushalt. An Tagen, an denen die Mutter nicht einmal mehr für sich selbst da sein kann, kümmert sich Tilda auch um sie. 



Die Trennung von Tildas Vater hat die Mutter nie ganz verkraftet und so dämmert sie zwischen Depressionen und Alkoholsucht vor sich hin, bekommt nichts auf die Reihe und eskaliert im schlimmsten Fall vor ihren Töchtern. 

Während Tilda die Zustände meistert, verschanzt sich Ida in ihrem Zimmer und hinter ihren Zeichnungen.

Eines Tages kommt Viktor zurück in die Stadt. Viktor, der große Bruder von Ivan, mit dem Tilda damals befreundet war. Ivan, der damals ums Leben kam. Viktor, der seitdem immer ein bisschen traurig aussieht und - wie Tilda - immer genau 22 Bahnen schwimmt. 

22 Bahnen ist eine Geschichte, die im Laufe der Erzählung meine Aufmerksamkeit immer mehr fesselt. Tilda, die mit ihren Eigenarten und ihrer ruhigen Art stets so gut zu Ida ist. Während Tilda sich um Ida kümmert, bemerkt sie nicht, dass sie sich gar nicht um ihr eigenes Wohlergehen kümmert. Außer diesen 22 Bahnen und ihrem Studium gilt die gesamte Aufmerksamkeit Ida - und wenn es sein muss, ihrer Mutter. 

Die Entwicklung der Geschichte und die Entwicklung der Charaktere zu beobachten, ist faszinierend für mich. 

Caroline Wahl erzählt die Geschichte um Tilda in einem ruhigen Ton und lässt die Emotionen ihrer Figuren sprechen. Das macht 22 Bahnen für mich sehr lebendig. Die Realität wird ungeschönt dargestellt, während die Figuren gleichzeitig nach Harmonie suchen und dieser ein Eckchen in der grau wirkenden Umgebung einräumen. 

Carolin Haupt liest die Geschichte mit ihrer jungen, ungestümen Stimme und lässt mich als Hörerin die Härte und vermeintliche Aussichtslosigkeit, die Zweifel und Ängste, die Resignation spürbar erleben. Gleichzeitig ist immer der Mut zur Veränderung spürbar, der gegen die Tristesse anstrahlen will. Und der winzige Keim der Hoffnung gedeiht.

22 Bahnen hat mich nicht nur gut unterhalten, sondern keinen einzigen Moment losgelassen.


Fazit

22 Bahnen ist für alle, die Coming of Age Romane mögen und sich von der Geschichte einer jungen Frau zwischen Verantwortung und des Heranwachsens in ein eigenes Leben mitreissen lassen wollen.