Freitag, 26. Februar 2021

Im Keller - Jan Philipp Reemtsma


Im Keller
Rowohlt Taschenbuch Verlag
8. Auflage April 2018
Jan Philipp Reemtsma
ISBN 978-3-499-22221-4
224 Seiten




Jan Philipp Reemtsma will so schnell es irgendwie geht sein Leben wieder haben. Deshalb schreibt er nach seiner 33 Tage andauernden Gefangenschaft das Buch Im Keller. Er will dieses Zusammengehörigkeitsgefühl abschütteln, diese Intimität, die sich zwischen seinen Entführern und ihm durch seine Isolation von der Welt gefühlsmäßig gebildet hat. 





Jan Philipp Reemtsma schreibt verhalten und bemüht sich um eine Distanziertheit zwischen "der Person", die im Keller 33 Tage angekettet gewesen war, und sich selbst. - Dabei hat er sein Ich - so sagt er selbst - noch gar nicht gefunden. Jan Philipp Reemtsma kennt sich aus in der Literatur und bewegt sich quasi in ihr - doch er ist nicht nur Ausdruck, er ist ganz und gar Gefühlsmensch. Und eben diese, seine, Gefühle sind es, die seinem rationalen Verstand immer wieder Einhalt gebieten. In der Zeit im Keller und auch später. 

Jan Philipp Reemtsma hat sich bereits zuvor mit dem Thema Traumatisierung befasst und für einen Vortrag dazu einen eigenen Text verfasst. 

"... Diese zwanghafte Bindung an das traumatische Ereignis ist etwas anderes als das, was wir normalerweise "Erinnerung" nennen. Auch in der normalen psychoanalytischen Therapie komme es, so Freud, immer wieder zu der Notwendigkeit, "das Verdrängte als gegenwärtiges Erlebnis zu wiederholen, anstatt es, wie der Arzt es lieber sähe, als ein Stück der Vergangenheit zu erinnern." - Seite 53

Manche Erlebnisse gehen zu tief, als dass man diese als bloße Erinnerung für sich hat. 

Mit der Entführung und der 33 Tage anhaltenden Tortur des Ängste schürens bleibt das Gefühl der Machtlosigkeit, des Ausgeliefertseins, des nichts an den Umständen ändern könnens gegenwärtig. 

Jan Philipp Reemtsma bemüht sich das Erlebte rational zu sehen und vor allem das sogenannte Stockholm-Syndrom nicht zuzulassen. Doch der Mensch ist, wie er ist: er sehnt sich nach Zuwendung, nach Wärme, nach Geborgenheit und sucht sie zuletzt da, wo er sie bekommen kann. Jan Philipp Reemtsma ist standhaft in seinem selbst angelegten Korsett. - Was er sich nicht selbst angelegt hat, ist die Fußfessel in dem Keller, in dem er die Tage und Nächte seiner Gefangenschaft verbringen musste. 

Der ausgewählte Schreibstil sorgt dafür, dass Reemtsmas Zeugenbericht als sein Erlebnis wahrgenommen wird. Jan Philipp Reemtsma ist kein Mensch, der eine eingängige Sprache und kurze Sätze nutzt. Genau so erzählt er vom Erlebnis seiner Entführung und seiner literarischen Erkundungen. Trotz allem negativen Empfindens spiegelt er selbst in der Isolation seine Albernheit und - durch Peinlichkeit berührt - auch seinen Humor wider.


"Er kommt nach Wochen aus dem Keller und hat sich eine Sehnenscheidenentzündung an den Füßen geholt! Wird freigelassen und hat es nicht geschafft, ein paar Kilometer zu gehen, weil ihm die Füße so weh tun! Verwöhnter Philologe und Schreibtischhocker aus Hamburg-Blankenese."- Seite 161


Jedenfalls wünsche ich mir für Jan Philipp Reemtsma, dass es eine Spur von Humor enthält und nicht nur die Möglichkeit, sich selbst noch kleiner zu machen, als er sich in der Situation ohnehin fühlen muss. 

Ich bin erschrocken und traurig, dass ein kluger Mann durch eine "Entführung de luxe" - wie man es damals nannte - zurückbleibt als Mann, der sich klein fühlt und unzulänglich. Einer Hilflosigkeit ausgesetzt, der er nichts entgegenzusetzen hatte, einer Situation, die er selbst nicht ändern konnte. Ja, es hätte alles schlimmer sein können. Doch diese Ausweglosigkeit, diese Machtlosigkeit, dieses ausgeliefert und abhängig sein, ist schlimm. Total schlimm. 

Das Buch ist in vier Abschnitte unterteilt, in denen Jan Philipp Reemtsma auf unterschiedliche Weise das Geschehen widerspiegelt. Bemerkenswert und nicht zu unterschätzen ist der Bericht, den Jan Philipp Reemtsma über die Person im Keller abgibt. Eine Schilderung der Ereignisse in der dritten Person über sich selbst. 


Fazit

Im Keller empfehle ich den Menschen, die sich mit Traumatisierung auseinandersetzen. Ob beruflich oder aus privatem Antrieb - es ist absolut lesenswert.
Für das 224 Seiten starke Buch sollte man sich Zeit nehmen. 

2 Kommentare:

  1. Eine wundervolle Rezension, die sehr neugierig auf das Buch macht. Sicherlich keine leichte Kost, die nicht „mal eben“ nebenbei gelesen werden kann und Reflektionszeit erfordert.

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    1. Vielen Dank, liebe Charlotte
      Ja, das Buch ist sehr anspruchsvoll und man sollte sich die Zeit nehmen, es in aller Ruhe zu lesen und eigene Gedanken zuzulassen.

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